Samstag, 8. Februar 2014

Land und Leute (3)

Die Tage hier neigen sich dem Ende zu und es wird Zeit, ein paar gemachte Versprechen einzulösen. Deshalb hier der versprochene Beitrag zum Thema Verkehr.


1) Verkehrsmittel:

Das Hauptverkehrsmittel hier sind die "Scooter"(die Vietnamesen sagen Xe My), motorisierte Zweiräder, die zwar wie Motorroller aussehen, jedoch deutlich mehr Power haben (ich schätze equivalent zu 125ccm oder besser). Diese dürfen mit zwei schweren oder drei leichten Personen belastet werden, werden aber häufig über dieses Limit hinaus besetzt oder auch gerne sehr gewagt beladen.
Autos sind hier seltener, was auch daran liegt, dass sie wegen Sondersteuern etc. das Doppelte (oder mehr) dessen kosten, was man bei uns dafür bezahlt. Natürlich kommt dann auch hinzu, dass die durchschnittlichen Einkommen weit unter dem liegen, was bei uns normal ist. Ein weiterer Grund, sich mit einem Scooter zufrieden zu geben.
Fahrräder sind recht selten und vor allem die früher häufigen Cyclos (im Bild unten rechts), die früher als Personentransportmittel gängig waren, sind selten geworden und dienen außerdem häufig anderen Zwecken (Lastentransport etc.). Häufig jedoch sind inzwischen Elektrofahrräder, und das ist kontrovers. Sie sind praktisch, leise und ähnlich schnell wie die Scooter. Weil es jedoch Fahrräder sind, dürfen alle, insbesondere Kinder, sie fahren. Das führt dazu, dass im Innenstadtverkehr ein guter Anteil der Verkehrsteilnehmer Schüler auf dem Weg von der oder zur Schule sind. Das bedeutet ein erhebliches Gefahrenpotential für die Kinder. Ich muss aber gestehen, dass man nicht wirklich einen Unterschied zwischen erwachsenen Scooterfahrern und jugendlichen Elektroradlern merkt.
Lastkraftwagen sieht man im Stadtverkehr auch nicht oft, zudem sind viele der hisigen Modelle deutlich kleiner als die europäischen Gegenstücke im Stadtverkehr. Am Stadtrand und auf den Landstraßen findet man dann das gegenteilige Bild: Viele lange LKW, die zumeist 4 Achsen (2 vorne, 2 hinten) haben und "ein Fahrzeug" sind, aber auch die uns bekannte Kombi Zugmaschine + Anhänger, dann aber min. 6 Achsen.
Schließlich gibt es auch Busse, vornehmlich als Verkehrsmittel zwischen den Städten (statt innerhalb). Diese sind wegen ihrer rücksichtslosen Fahrweise gefürchtet und gelten als Monster der Straßen. Will man innerhalb der Stadt ohne eigenes Fahrzeug von A nach B kommen, ruft man ein Taxi. Taxis/Taxen sind in Vietnam sehr erschwinglich und bieten zusätzliche Vorteile: Der Fahrer ist ortskundig und trägt zudem die Verantwortung im Verkehr. Touristen sollten trotzdem aufmerksam sein, es gibt verschiedene Tricks für Taxifahrer, an Touristen mehr zu verdienen.


2) Verkehrssituation:

Oft wird der Verkehr in Vietnam, insb. in den Großstädten sehr blumig beschrieben und es klingt sehr stark aufgetragen. Nach meiner Beobachtung kann man bei der Beschreibung gar nicht blumig genug werden. An sich gibt es Regeln und Vorschriften wie bei uns, aber wer sie befolgt wird schnell zum Verkehrshindernis. Stattdessen gibt es eine Regel: Es gibt keine Regel. Man hält sich an grobe Richtlinen und versucht, irgendwie durchzukommen. Dazu nutzen die Vietnamesen, und das ist sehr normal hier, die Gegenfahrspur (auch wenn sie weniger frei ist) oder, mit Scootern, die Fußwege. Lücken im Verkehrsfluss werden von Scootern umgehend aufgefüllt. Die Hupe ist ein allgemeines Kommunikationsmittel und wird aus vielfältigen Gründen betätigt:
  • Um an Kreuzungen oder schlecht einsehbaren Stellen auf sich aufmerksam zu machen
  • Um überhaupt auf sich aufmerksam zu machen
  • Um vorausfahrende Fahrzeuge über einen Überholungswunsch zu informieren (gemeinsam mit Lichhupe und Fernlicht)
  • An roten Ampeln um anderen Wartenden zu signalisieren, dass die Ampel gleich grün wird
  • Um seinem Ärger Luft zu machen 
  • Aus Langeweile
Bei einem Kreisverkehr fährt man dann auch nicht im Kreis, sondern auf möglichst direktem Weg zu der Ausfahrt, zu der man möchte. Allerdings wird die Insel in der Mitte dennoch meist rechts passiert. Das führt dazu, dass man plötzlich Fahrzeuge aus allen Richtungen auf das Eigene zufahren sieht. Mir hat das auch als nicht-fahrender Insasse unbehagen bereitet, man gewöhnt sich aber daran.
Der Trick ist: Man bewegt (wie) sich in einem Schwarm. Man versucht nicht, das Gesamtgeschehen zu Überblicken, sondern man achtet auf das direkte Umfeld und nähert sich dem Ziel.


3) Tempolimits und Autobahnen:

Innerorts sind 40km/h erlaubt, außerorts selten mehr als 80km/h und das Limit wird stets explizit angegebenKeine Straße hier kommt einer Autobahn, wie wir sie kennen, nahe. Das Naheste sind die besseren Landstraßen, die so ähnlich sind wie schlechtere Landstraßen bei uns. Man sollte aber auch nicht erwarten, unsere Standards überall vorzufinden. Eine Alternative könnte die Eisenbahn sein, doch die ist in Vietnam eine Schmalspurbahn, die etwas in die Jahre gekommen, mit 60km/h ihren alten Schienen folgt. Wer es eiligt hat, reist im Flugzeug. Wenn möglich.


4) Fazit:

Für Touristen:
In Vietnam werden ausländische Führerscheine, auch der internationale Führerschein, nicht anerkannt. Und das ist gut so, denn für den vietnamesischen Verkehr braucht man unbedingt lokale Fahrerfahrung und ein gewisses Verständnis. Dabei kommt man jedoch um professionellen Fahrunterricht nicht herum. Ungeübte Fahrer, insb. Touristen, setzen sich sonst nicht nur großen Gefahren aus, sie werden selbst zu einer enormen Gefahr. Ich kann nur davon abraten, ohne training selbst am Verkehr teilzunehmen. Doch die Einheimischen bieten auf der Straße alle paar Meter Touristen ihren Scooter zur Miete an. Die Polizei, d.h. die Verkehrspolizei ist hier verhältnismäßig machtlos und kaum ausgestattet. Wird überhaupt jemand zur Kontrolle herangewunken, kann man es in der Regel ignorieren ("Hab' ich nicht gesehen"), eine Verfolgung ist unwahrscheinlich. Zudem geben die Beamten schnell auf, wenn die Sprache zu einem großen Hindernis wird ("Ich spreche leider kein Vietnamesisch. Blablablablabla"). Meinen die Beamten es jedoch wirklich ernst, kann es richtig teuer werden. In solchen Fällen ist es meist von Vorteil, wenn man seine "Strafe"gleich vor Ort zahlen kann. Übrigens: Die Helmpflicht nehmen die Beamten sehr ernst und die Strafe ist gar nicht so gering. Was hier als Helm durchgeht, ist oft kaum mehr als eine kopfgroße Plastikschale.


Allgemein:
Es ist schwierig, die Situation auf Bildern festzuhalten, besonders, wenn man es nicht mit Aufwand darauf anlegt. Interessierten kann evtl. mit der Bildersuche von Google geholfen werden, wobei ich finde, dass die direkte Erfahrung kaum zu ersetzen ist. Meiner Meinung nach ist der vietnamesische Verkehr ein Fall für das Unesco Weltkulturerbe. Und eines muss man ihm lassen: Er ist verdammt effizient. Die Fahrbahnfläche wird sehr gut ausgenutzt und Staus sind selten. (Wenn sie aber auftreten wird es meist haarig). Leider ist die Kehrseite der Medallie eine hohe Zahl an Unfällen und entsprechend Unfalltoten. Es wurde viel unternommen, die Situation zu verbessern, aber das System ist so kompliziert und die Leute so daran gewöhnt, dass es bisher nicht erfolgreich war. Eine Besserung brachte zwei Verschlechterungen oder es gab gar keine Wirkung. Ich wüsste auch nicht, wie man hier einen sukzessiven Wandel schaffen könnte, und ich bin mir auch nicht sicher, ob das sinnvoll wäre. Man sollte sich aber klar sein, worauf man sich einlässt, wenn man in Vietnam aktiv am Verkehr teilnehmen will.

Edit: Korrektur zum Thema Tempolimits.

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